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Sabrina Herman

    Ist Zucker Gift? Wie ist es der Lebensmittelindustrie gelungen, dass wir uns diese Frage kaum noch stellen? Es begann mit einer geheimen PR-Kampagne in den 70er Jahren. Über 40 Jahre lang hat “Big Sugar” es geschafft, die Welternährung zu verzuckern. Doch die Kritiker der Industrie haben dazugelernt, die Wissenschaft sammelt neue Erkenntnisse. 

    Eine bittersüße Geschichte über den Kampf zwischen Profiten und einer gesunden Gesellschaft.

    Aufdeckung der Zuckerlobby-Strategie

    Dass die Verzuckerungspolitik der Lebensmittelindustrie und die Verharmlosung des süßen Stoffes bereits in den 70er Jahren eine gezielte Taktik war, entdeckte die Zahnärztin Cristin Kearns, als sie in den Archiven der „Great Western Sugar Company“ stöberte. Dies war eine Fabrik für verschiedene Arten von Zuckerprodukten im Norden von Colorado, welche durch schlechte Führung Bankrott ging und schließen musste. Die Geschäftsräume wurden anschließend der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wodurch Kearns 1.500 Seiten interner Dokumente einsehen konnte – dort fand sie Protokolle von Strategiesitzungen des amerikanischen Zuckerverbandes und eine Art geheime „Spielanleitung“ der Zuckerindustrie.  Denn diese war in Sorge um ihr extrem lukratives Geschäft mit dem Industriezucker. Der Verbrauch war durch den stetig wachsenden Wohlstand der amerikanischen Gesellschaft stark angestiegen, die Produktionskosten sehr niedrig, weshalb die Profite nur so sprudelten. Doch Ärzten und Verbraucherschützern blieben auch der damit einhergehende Anstieg von Gesundheitsproblemen nicht unbemerkt: Karies, Diabetes, Übergewicht und Fettleber – immer häufiger auch schon im Kindesalter. Erste Studien belegten einen direkte Verbindung zum Konsum von Zucker, daher forderten sie von den Gesundheitsbehörden eine Einschränkung von Zuckermengen und Marketing. Die Zuckerlobby wollte das unbedingt verhindern, ein schlechter Ruf des Zuckers wäre auch für die Gewinne ungesund. Sie entwarfen eine Strategie, die sich an der der Tabakindustrie orientierte, welche 20 Jahre zuvor vor einem ähnlichem Problem stand: In den 50er Jahren wurde Rauchen in der wissenschaftlichen Meinung vermehrt als gesundheitsschädigend erachtet und erste Forderungen nach strengeren Regulierungen laut. Dem setzte man eine dutzende Millionen schwere PR-Kampagne entgegen, mit der man Studien in Auftrag gab, die gesundheitliche Risiken von Tabakkonsum klein redeten oder sogar seine positiven Effekte auf den Körper beschworen. Und diese Kampagne hatte großen Erfolg – bis weit in die 80er Jahre hinein wurde Rauchen von den meisten Amerikanern als nicht gesundheitsschädigend erachtet und es gab keinerlei gesetzliche Beschränkung dafür.

    Logo des amerikanischen Zuckerverbandes –
    man gibt sich naturverbunden

    Wissenschaft als Instrument des Geldes

    Das selbe Muster bediente man sich nun auch beim Zucker: Einerseits wurden die Tageszeitungen und Magazine mit einer Flut an Werbeanzeigen überhäuft, die dem Verbraucher erklärten, dass Zucker ein natürlicher und gesunder Energiebooster sei. Zudem würden zuckerfreie und mit kalorienlosen Süßstoffen versetzte Getränke den Heißhunger führen und eine starke Insulinreaktion hervorrufen (in Wahrheit ist es genau umgekehrt). Andererseits setzte man aber auch eine geheime PR-Kampagne auf, in der man Wissenschaftler und Institute großzügig Gelder zur Verfügung stellte und im Gegenzug Studien bekam, die zu dem Schluss kamen, dass es keine eindeutigen Belege für Zucker als Gesundheitsschädiger gäbe. Stattdessen wurde immer wieder darauf verwiesen, ein allgemeines “Überessen” wäre das Problem für Gesundheitsprobleme der Gesellschaft. Diese Masse an Studien hatte das alleinige Ziel, die unabhängigen Studien, welche fast allesamt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Krankheiten und Zuckerkonsum fanden, zu überdecken.  Denn schon damals fanden eine Reihe von unabhängige Forschern herausf, dass überschüssige  Kalorien zwar auf Dauer auch ungesund sein können, der Konsum von Zucker aber besonders starke Auswirkungen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselprobleme hat. Wenn jedoch 10 Studien ein eindeutiges Ergebnis liefern, aber 100 neutral bleiben (darunter viele angesehene Mediziner, die bereitwillig Geld der Zuckerlobby angenommen hatten) kann man guten Gewissens behaupten, es gäbe es keine klare wissenschaftliche Meinung dazu. Und das tat die Zuckerlobby jahrzehntelang erfolgreich und verhinderte damit Einschränkungen, bspw. bei der Werbung.  Diese Strategie wird seit über 40 Jahren angewandt und blieb nicht nur Amerika, sondern wurde auch von den Zuckerverbänden in den europäischen und asiatischen Ländern erfolgreich übernommen.

    Süßigkeiten- und Cola-Werbung aus den 70ern an Kinder – bewusste Falschinformationen und populistische Phrasen sollen den guten Ruf erhalten

    Der  Zuckerkampf heute

    Doch auch die Kritiker blieben nicht untätig und versuchten wieder und wieder Gesundheitsbehörden weltweit zu verstärkter Regulation zu bewegen und die Zuckerindustrie zur Reduzierung der Zuckermengen in Getränken und Speisen zu verpflichten – doch meist ohne Erfolg.

    In großen Anhörungen und Gerichtsverfahren sitzt der Zuckerverband immer wieder auf der Anklagebank, das letzte mal im Jahre 2017 in den USA. Doch ihre neue Verteidigungsstrategie ist die alte: Sie fordert immer weitere Beweise und finanziert führende Wissenschaftler, um diese Behauptung zu bestätigen.

    Die Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung sind unterdessen weiter stark angestiegen – Übergewicht, Diabetes, Herzerkrankungen haben sich vervielfacht. Die nichtalkoholische Fettleber ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen – inzwischen auch bei immer mehr Kindern. Vertreter der Anti-Sugar-Lobby in den USA und Deutschland kämpfen immer noch gegen die Behauptung an, dass wir doch selbst daran schuld seien, weil wir zu viel äßen. Und doch gibt es mittlerweile erste Erfolge: Großbrittanien hat als erstes westliches Land das Bewerben von stark zucker-und fetthaltigen Lebensmitteln in Kinderfernsehsendungen ausgesetzt und weitet dies immer mehr auf Supermärkte und Onlinehandel aus. Es bleibt zu hoffen, dass auch weitere Länder folgen werden. Denn während Industrie und Wissenschaft ihren Kampf noch ausfechten, tickt die gesundheitliche Zeitbombe weiter.

     

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